16. Juli 2020 Thema: Gemeinschaft, Kunst & Kultur Von Steffen Burmeister
Es gibt ja immer wieder mal Themen, die sensationeller abgehandelt werden und mehr Möglichkeiten bieten sich inhaltlich und überhaupt zu verlaufen (z.B. auch gerne volldampf hinein in Sackgassen) als andere. In Jesteburg ist das immer wieder die Kunst. Und als es gestern um das Kunstpfad-Projekt ging war sicherlich das meiste Adrenalin im Raum. Wenn Adrenalin zum Zuge kommt, dann führt das u.a. zu einer Erhöhung der Atemfrequenz und einer Beschleunigung des Kreislaufs, die Pulsfrequenz und der Blutdruck steigen entsprechend an.
Das alles konnten wir gestern gut beobachten – tatsächlich im Ansatz bei fast allen Diskutanten, besonders aber bei den Projektgegnern.
(Kommunal)politik – und der generelle Einschub sei hier gestattet – heißt doch die Dinge vor Ort ordnen und entwickeln, dabei den Bürger*innen zuhören und Entscheidungen erläutern, repräsentativ für Mehrheiten und Minderheiten zu entscheiden – aber am Liebsten nicht populistisch auftreten – denn das hilft im besten Fall einer zugespitzen Darstellung einer Problemlage und der Befriedigung des eigenen Egos; aber: die Nebenwirkungen des Populismus sind dialogverhindernd und sicher nicht gesellschaftsdienlich. Es ist eben nicht richtig (aber anscheinend attraktiv für die Berichterstattung im Wochenblatt) blind für das große Ganze zu sein und lediglich von Thema zu Thema zu hüpfen. Sich als Freund des kurzen Gedankens zu outen. Eigentlich hatte es ein Bürger in der üblichen Fragestunde schon auf den Punkt gebracht: „es soll um die Maximierung des ‚wir fühlen uns alle wohl‘ gehen“; das muss die Richtung vorgeben!
Der Hintergrund: beschlossen wurde im Wirtschafts- Tourismus-, Kulturausschuss („WTKA“) vor 14 Tagen mit den Stimmen der SPD und der Grünen, dass die Gemeinde für das länger schon vor sich hin wartende und tatsächlich ja immer wieder kontrovers diskutierte ‚Kunst- und Naturpfad-Projekt‘ ein Moratorium schafft – also: sich noch mal Zeit nimmt, um mit professioneller Unterstützung über eine projektierte örtliche Akademie-Veranstaltungsreihe – „Bürger*innen-Akademie für Kunst in öffentlichen Räumen“ – zu überprüfen, ob wir (nicht: dass wir) ein solches Projekt umsetzen wollen. Es geht dabei ganz ausdrücklich um die „Schaffung einer breiteren gesellschaftlichen Basis“ und darum „Akzeptanz, Interesse und Identifikation [zu] fördern“ –> steht im dem Ausschuss vorgelegten Konzept. Es wurde mit Thomas Kaestle* ein professioneller und anerkannter Moderator (und ja, da hat die FDP recht – ganz so moderat war er in der Beurteilung der Lage dann nicht, aber er hat auch seine politische und gesellschaftliche Wachheit bewiesen s.u.) gefunden, der jetzt mit den Menschen in unserer Gemeinde arbeiten will, um Wertschätzung für Kunst im Raum zu schaffen (und ja, vor dem Hintergrund ist es natürlich nicht schön, dass dieses Themenfeld von der, sagen wir ‚unglücklichen‘ Umsetzung der Straßenmalerei geprägt ist).
So weit so gut? Mittlerweile immer gut vorhersehbar ist ja dann regelmäßig, was die regionale Presse aus so einem Thema macht. Im Wochenblatt vom 4.07. beginnt der Artikel mit der Fragestellung, ob es sich um Verschwendung von Steuergeldern oder ein Pilotprojekt handelt und suggeriert dann, dass es natürlich ersteres ist.
Dazu muss man sich halt auch bekennen, das mache ich hier mal ganz eindeutig: Ja, für Kunst & Kultur soll selbstverständlich (Steuer-)Geld ausgegeben werden, wir brauchen Kunst – und wir brauchen vor allem auch ein weites Verständnis dazu – einen umfassenden Kunstbegriff. Keine Engstirnigkeit.
Wir brauchen auch einen Schützenverein, einen Tennisclub, einen Heimatverein, Sport- und Reit-Möglichkeiten, eine Kirchenjugend und viele Gruppen mehr, um Räume für den sozialen Austausch und die Entwicklung unserer Identität zu schaffen. Und für Letzteres brauchen wir neben vielem anderen z.B. auch Reetdächer in unserer Ortsmitte. Und für all diese Themen geben wir Steuergelder – zum Teil in erheblicher Größenordnung aus. Zurecht, und nach möglichst inhaltlich orientierten Debatten. „Ich bin und bleibe ein überzeugter Vertreter der repräsentativen Demokratie. Von government by shitstorm halte ich nichts“ sagt Theo Sommer in der Zeit (Juni 2020) und dem schließe ich mich mit voller Überzeugung an.
Und über Kunst stimmen wir ab?
Da hat sich das Wochenblatt meines Erachtens kräftig verrudert. Hatte Sascha Mummenhoff („mum“) in seinem Kommentar am 4.07 noch darauf hingewiesen, „dass das Projekt eine Chance verdient hat“. Und er schreibt auch: „Jesteburg hat eine Kunst- und Kulturszene, vermutlich die größte des Landkreises“ (voilà!), dann wird in gleichem Atemzuge und gleich nach der „Haltet-den-Dieb!“-Steuerverschwendungswarnung zu einer Abstimmung aufgerufen.
Das Ergebnis, wird dann in der neuen Ausgabe geschrieben, ist 77%:23% und, das wird vorausgeschickt, „sicher nicht repräsentativ“ – soll aber trotzdem als Diskussionsgrundlage und Bestandteil des kulturpolitischen Glaubensbekenntnisses verstanden werden?
Wir diskutieren immer und gerne. Aber dass wir über Belange und Interessen von Minderheiten abstimmen lassen sollen ist schon als Forderung eine Grenzüberschreitung und demokratiegefährdend. Oder glaubt das Wochenblatt (ewig im Schulterschluss verbunden (Kumpanei- und Klüngelverdacht ;-)) – die Herren Mummenhoff & Siede), dass wir bei einer Abstimmung zur Frage, ob der Schützenverein Unterstützung bekommen soll, ob wir dem Tennisclub was für die Terrasse dazu zahlen (10.000 €), oder die Flutlichtanlage (20.000 €) ob wir ein Rockkonzert bezuschussen sollen (2.000 €) oder einem Privatmann bei der Renovierung seines Reetdachs (20.000 €) finanziell unter die Arme greifen – ich bin da mit allen Förderungen ohne Einschränkung einverstanden! … dass wir aber bei solchen Abstimmungen eindeutige Mehrheiten für die Ausschüttung (zum Teil ja erheblich höherer Summen als die für das aktuelle Projekt veranschlagten Kosten) rechnen dürfen? Es soll ja sogar Leute geben, die besser nicht so viel Geld für die Feuerwehr ausgeben wollen … solange es nicht brennt.
Ich verweise zu diesem Thema auch gern auf unser Statement aus 2016.
Die Aussprache zum TOP, wie gesagt, war Hormon-getrieben. Höhepunkt die Forderung der UWG nach einem Bürgerenscheid (auch eine seltsame Vorstellung: dass ein Bürgerentscheid über eine Ratsfraktion initiiert werden soll). Und die Schmerzschwelle war bei der CDU unerfindlicherweise nicht gesunken sondern gestiegen und aus diesem Zustand wurde anscheinend ein Verschiebe-Antrag geboren und notdürftig mit dem Ruf nach mehr Wettbewerb begründet. Dazu gab es bei uns Unverständnis, weil das beabsichtigte Projekt ja gerade dazu führen soll, dass Dampf abgelassen und die gewonnene Zeit sinnvoll genutzt wird – mit den oben beschriebenen Zielsetzungen. Und es gab noch einen hilflosen Versuch der UWG, die CDU ganz auf Ihre Seite zu ziehen. Das ging dann aber irgendwie im dann folgenden Gelächter unter. Übrigens: zur Korrektur des aktuellen Wochenblatt-Artikels war es dem neuen CDU-Vorsitzenden und seit gestern auch Ratsmitglied (Nachfolge Kerstin Witte) Dr. Reinhard Feldhaus wichtig festzustellen, dass die dort wiedergegebenen Äußerungen so nicht zutreffend sind; auch CDU-Mann Bernd Jost („ich halte mich kurz“) findet sich im Wochenblatt falsch zitiert.
Abgestimmt haben wir dann für einen sofortigen Start des Projekts – denkbar knapp und begünstigt durch eine Enthaltung bei der CDU. Das Ergebnis zeigt, wie polarisierend die Thematik ist. Die Hoffnung bleibt, dass wir eine gemeinsame Zielsetzung im Dorf für eine erfolgreiche Umsetzung finden. Wir werden genau dafür arbeiten. Das Thema beschließe ich mit dem Zitat (Johannes Rau!), das auch Hr. Kaestle seinen Ausführungen (s.u.) voranstellt: „Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig„. Wir müssen das Thema aus der Zugluft bekommen – daran sollten sich alle beteiligen.
Und jenseits der Kunst? – Diverse Tagesordnungspunkte waren aus unterschiedlichen Gründen gestrichen worden. Das Grundstück Brettbeekskoppeln („Zirkusgrundstück“) wurde noch nicht an die Kommunale Wohnungsbaugesellschaft übertragen, die Abwägung und die Satzung nicht abgestimmt, weil es da noch echte Unklarheiten bei der geplanten Zuwegung gibt (wir wollen: nicht über Uulenlock, sondern über Schaftrift); das kommt also noch mal in den Fachausschuss.
Für den Reitverein haben wir für Sicherheit gesorgt: die für die Fertigstellung noch notwendigen 80.000 € werden in einer Kombination von 50.000 € als Zuschuss und 30.000 € als Kredit bereitgestellt (so durchgesetzt von SPD und Grünen) – damit können jetzt die Außenanlagen fertig gestellt werden und Veranstaltungen – wie z.B. das Maimarktturnier – stattfinden.
Und eine Querungshilfe beim Penny bringen wir auf den Weg, aber nicht gleich (das hätten wir befürwortet, weil wir dann für die Gemeinde den MwSt.-Vorteil hätten mitnehmen können). Die UWG wollte die Maßnahme komplett beerdigen, hat dafür aber keine Freunde außerhalb der eigenen Gefolgschaft gefunden.
Auf der Tagesordnung standen dann noch Bushalte-Wartehäuschen, eine Freibad-Pandemie-Regelungen, Mitfahrbänke und eine Willenserklärung für die Ratspost – möglichst neutrale Informationen direkt aus der Verwaltung an alle Bürger*innen. Diese Information ist gewollt, kommt aber mangels freier Kapazitäten in der Verwaltung derzeit nicht in die Umsetzung.
Und eine neue zweite Stellvertreterin für Bürgermeister Udo Heitmann haben wir einstimmig bestätigt – (Britta) Witte folgt auf (Kerstin) Witte.
Was mich interessiert? – natürlich auch Ihre Meinung zu allen Themen, zu denen wir Ihnen hier regelmäßig berichten. Nehmen sie gern den Kontakt auf (steffen.burmeister@gmx.de)!